Mince Pies
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich den Winter nicht mag? Ich bin im Dezember geboren und war als Kind ständig krank - kleines, rappeldürres, schwaches Winterkind: Angina, Mittelohrentzündung, Angina, Mittelohrentzündung, Angina, Krupphusten, Angina, Masern, Angina, Windpocken, Angina, Krupphusten, Angina, Mittelohrentzündung... Meine Kindheitserinnerungen gehen sehr weit zurück und ich sehe mich ständig im Bett mit Schmerzen, hohem Fieber, Kotzschüssel, irgend einem juckendem Ausschlag, Halsschmerzen, grauenhaften Hustenanfällen, Atemnot, jämmerlichen Ohrenschmerzen usw.
Wäre ich nur 30 Jahre früher geboren, hätte ich wahrscheinlich nicht mal die Kleinkindphase überlebt oder wenn doch, dann nur mit massiven Schädigungen. Dank moderner Medizin und Antibiotika hat man auch mich noch durchgebracht.
Die ganze Zeit im Bett hatte aber auch ein Gutes. Ich konnte sehr früh lesen und wurde von meiner Mutter, wenn ich krank war, mit Lesestoff versorgt. Viel Lesestoff. Meine Mutter brachte mir Bücher aus der Dorfpapeterie mit und hat kiloweise Lesestoff aus der Bibliothek angeschleppt. Und als ich so sieben, acht Jahre alt war, hat sie immer, wenn ich krank war, ein BussiBär-Heft am Kiosk für mich gekauft. Noch heute ist BussiBär für mich mit Fieber, Ausschlag und abwechslungsweise Ohren- und Halsschmerzen verbunden.
Dank hervorragender, aufopferungsvoller Pflege meiner Mutter, literweise Pfefferminztee mit Zitrone, Hühnersuppe, BussiBär-Heften und Unmengen Büchern habe ich diese grauenhaften Winter überlebt. Und dann die Lieder... meine Mutter hat immer während der Hausarbeit gesungen. Staubwischen - singen... aufräumen - singen... bügeln - singen... kochen - singen. Volkslieder, französische Chansons, Schlager... meine Kindheit war geprägt von einer singenden Mutter. Wenn ich krank war, habe ich immer meine Zimmertür einen Spalt weit aufgemacht, damit ich unten meine Mutter singen höre. Und dann im Bett liegen, fieberdusselig, Pfefferminztee mit Zitrone neben dem Bett und ein Buch und eine singende Mutter, die unten einen Topf Suppe kochte.
Alle «Hanni und Nanni»-Bücher, sämtliche «5-Freunde»-, Michael Ende-, «Drei-Fragezeichen»- und Astrid-Lindgren-Bücher - alles, landete auf meinem Krankenlager. Irgendwann war die Schulbibliothek leer gelesen. Es gab nichts mehr, was ich nicht schon gelesen hatte. Da hat mir meine Mutter Bücher aus ihrem Bücherregal gebracht. Ohhh, ich hab mich soooo erwachsen gefühlt. Endlich kam ich an dieses, von mir heiss begehrte Regal ran. Eines der ersten Bücher, das sie mir aufs Bett legte, war «Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung» von Eric Malpass. England in den 60er Jahren. Ein kleiner Junge namens Gaylord und seine ein bisschen durchgeknallte Familie... ich kann mich noch erinnern, dass da Weihnachten anstand. Ein Mistelzweig über der Tür, unter dem man geküsst wurde, eine heulende Tante, ein grantiger Grossvater, der Vater, der auf dem Dachboden übernachten musste, ein schwangere Mutter, eine verstorbene Grosstante.... ich fand das Buch Klasse! Und meine Liebe zu England, englischen Weihnachtsfeiern, schrulligen Leuten und Mistelzweigen war gesetzt. Seit ich vor 30 Jahren bei meinen Eltern ausgezogen bin, hängt jedes Jahr in der Adventszeit über meiner Haustür ein Mistelzweig. Immer!
Und jetzt habe ich noch meine Liebe zu Nigel Slater endeckt. DER britische Kochbuchautor schlechthin! Nigel Slater schreibt nicht Kochbücher fürs Regal. Nigel Slaters Kochbücher sind Lesebücher. Wunderbare Lesebücher. Ich lese seine Bücher inkl. sämtlicher Rezepte abends im Bett wie andere Leute Romane oder Krimis. Ich habe einige Bücher von ihm in Englisch, das neuste aber jetzt in Deutsch: «Das Wintertagebuch». In der Einleitung steht: «Der Kälteinbruch ist erfrischend, wie der Sprung in einen eisigen Teich nach der langen Sommersauna. Der Winter fühlt sich an wie ein Neuanfang, zumindest für mich. Ich sehne mich nach diesem eisklaren Leuchten, nach Himmeln aus blassblauem und mattgrauem Licht, das ruhig und sanft, aber auch frisch und knackig ist. Aus der erstickenden Luftlosigkeit des Sommers entkommen, habe ich wieder mehr Energie. Der Winter ist da. Ich kann wieder atmen.» Oh Nigel.... *seufz*
Nigel Slater - «Das Wintertagebuch»
Habe ich schon erwähnt, dass ich seit Nigel Slaters «Wintertagebuch» den Winter geniesse? Gut, es ist ja nicht wirklich kalt derzeit. Aber ich zelebriere die Adventszeit. Tee, Toast, Kerzen, Buch, Kochtöpfe... Man kann es sich ja auch in Zeiten, die einem nicht behagen, gemütlich einrichten. «Das Wintertagebuch» ist eine wunderbare Anleitung dafür. (Übrigens.... ich bekomme keine Provision für die Werbung, die ich hier für dieses Buch mache. Alles, was ich darüber schreibe, kommt aus tiefstem Herzen und geschieht auf freiwilliger Basis!)
Achja, soll ich noch erwähnen, dass mein Vater in England gearbeitet hat und bei uns zuhause eine englische Teekultur gepflegt wurde, bzw. meine Eltern immer noch passionierte Teetrinker sind? Das nur so nebenbei am Rande...
Oh, mein Gott... ihr wollt endlich ein Rezept... ja klar. Also, in Nigels wunderbarem Kochbuch wird der Winter mit dem 1. November eingeläutet und er endet mit dem 2. Februar. In diesen drei Monaten geht die volle Weihnachtsdröhnung ab. Kochen, backen, essen, wieder backen, einkochen, haltbar machen, vorbereiten auf Weihnachten, dekorieren, lesen, Musik hören, wieder kochen und backen...
Ich habe eine Woche vor dem ersten Advent die Füllung (Mince Meat) für die Mince Pies, dem englischen Weihnachtsklassiker, gemacht. Das Zeugs hat Suchtfaktor. Guter Tipp von mir, macht die doppelte Menge, weil die Hälfte futtert ihr einfach so aus dem Glas weg. Und noch was. Macht das Mince Meat rechtzeitig, das Material muss genügend Zeit zum Reifen haben. Also Mitte November oder so anfangen, damit ihr frühstens zu Nikolaus die ersten Mince Pies backen könnt. Noch was am Rande... im Originalrezept kommt Rindernierenfett vor... das kriege ich in der Schweiz nicht. Ich habe es ersetzt durch Butter. Im Rezept waren 200 g angegeben, ich habe die Hälfte genommen.
Mince Meat
100 g Butter (Original 200 g Rindernierenfett)
200 g dunkler Muscovado-Zucker
200 g Sultaninen
200 g Korinthen (ich 200 g getrocknete Cranberries)
200 g Dörrpflaumen, entsteint
200 g getrocknete Aprikosen
(ich zusätzlich) 50 g getrocknete Apfelschnitze
750 g Kochäpfel (z.B. Boskop)
50 g blanchierte Mandeln
(ich: 50 g Haselnüsse aus dem Garten, geschält und geröstet)
1 unbehandelte Zitrone, Schale und Saft
1 unbehandelte Orange, Schale und Saft
1 Teelöffel Zimtpulver
½ Teelöffel Nelkenpulver
½ Teelöffel Muskatnuss
100 ml Brandy (ich: Cognac)
Sämtliches Dörrobst klein hacken. Zucker, sämtliches Dörrobst, abgeriebene Schale und Saft der Zitrusfrüchte sowie Brandy in einer Schüssel vermischen und zugedeckt zwei Tage im Kühlschrank marinieren lassen. Ab und an gut umrühren.
Mandeln od. Haselnüsse fein hacken. Die frischen Äpfel schälen und kleinschneiden. Dann Butter in einem grossen Topf schmelzen lassen, sämtliche Zutaten mit dem marinierten Dörrobst in den Topf geben und gute 30 Minuten auf kleinem Feuer schmurgeln lassen. Ich hatte noch ein bisschen Quittensirup übrig, den habe ich auch noch dazu gegeben. Ich habe 5 Minuten vor Schluss noch einen guten Schluck Cognac reingekippt. Ich dachte, das hätte dem Opa von Gaylord gut gefallen ;-)
Das Mince Meat heiss in sehr saubere Gläser abfüllen, gut verschliessen und bis zum Küchlein backen kühl aufbewahren.
Nigel schreibt: Ich und die Mince Pies... Mein Leben ist randvoll mit Ritualen. Die Art, wie ich auf dem Küchentisch eine Kerze anzünde, bevor ich mich an einem Wintermorgen zum Schreiben hinsetze. Wie ich mir eine Radiosendung zum Anhören aussuche, irgendetwas aus der vergangenen Woche, während mein Vormittagskaffee durch den Filter tropft. Das Getue, das ich um den Drink vor dem Abendessen veranstalte, hat ein Beobachter mit dem eines Mönchs verglichen, der eine japanische Teezeremonie vorbereitet... Der Heilige Abend beginnt unweigerlich damit, dass ich ein verblichenes und leicht eselohriges Stück bedrucktes Papier entfalte, einen Artikel, den Jeanette Winterson für die Times über die Zubereitung von Mince Pies geschrieben hat: «Wenn Sie sich davon überzeugt haben, dass der Teig kalt ist, holen Sie Ihr Kasperltheater-Nudelholz zheraus.» Ich lese ihn jedes Jahr bevor ich meinen Teigroller heraushole...
Mince Pies
(gemäss Rezept 18, nach meiner Art 12 Stück)
75 g Butter
75 g Schmalz
150 g Mehl
1 Eigelb
Mince Meat (nach obenstehendem Rezept)
Puderzucker zum Bestäuben
Muffinblech mit zwölf Mulden von ungefähr 6 cm Durchmessern
Butter und Schmalz in kleine Stücke schneiden und mit den Fingespitzen ins Mehl kneten, bis die Mischung aussieht wie grobe, frische Semmelbrösel. Eigelb zufügen und kurz zu einem glatten Teig verkneten. Bei Bedarf ein Esslöffel kaltes Wasser beifügen.
Teig mindestens eine halbe Stunde ruhen lassen.
Backofen auf 200 Grad vorheizen. Teig ausrollen und Rondellen von ca. 7 bis 8 cm Durchmesser und 3 mm Dicke ausstechen. Diese in die Muffinform drücken. Der Rand sollte ca. 2 cm hoch sein. Auf jedes Teigstück ca. 1 gehäufter Esslöffel Mince Meat geben. Den restlichen Teig auswallen und mit einem entsprechenden Ausstecher einen Stern ausstechen. Den Teigstern auf die Mince Meat-Füllung legen.
Sternen-Deckel
Fertig zum Backen
Die Mince Pies bei 200 Grad rund 20 Minuten backen. Ca. 10 Minuten in der Form ruhen lassen. Ich habe dann ein Brett auf die Muffinform gelegt und das Ganze gewendet. Geht einfacher, als jedes Küchlein einzeln aus der Form zu hebeln.
Die ausgekühlten Mince Pies mit Puderzucker bestäuben.
Mince Pie
Irgendwo in dem Buch kommt eine Stelle vor, wo Nigel schreibt, wie er am Backen ist und Weihnachtslieder dazu hört... Ich verfüge über ein Internet-Radio und habe einen britischen Sender gefunden, der 24/7 englische Weihnachtslieder spielt. Das Küken und ich haben letztens 8 Stunden Weihnachtsplätzchen gebacken, Füllung für Mince Pies hergestellt und während dessen englische Weihnachtslieder gehört.
Advent
Nigel Slater, Das Wintertagebuch, Verlag Dumont, ISBN 978-3-8321-9935-7